Sonntag, 30. Oktober 2016

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„Zwar ändern sich die Dinge heute in allen Gesellschaftsschichten, doch die Menschen glauben immer noch, ein Mann, der viele Sexualpartner gehabt hat, sei wertvoller als eine Frau, die viele Partner hatte."

Ist das wirklich noch die Welt, in der wir leben? Ja. Und es ist sogar noch schlimmer. Wenn du mit niemandem Sex hast, bist du frigide, wenn du nur deinen Freund vögelst, bist du langweilig und wenn du mit verschiedenen Leuten schläfst, dann giltst du immer noch als Hure."

Mina sagt, sie habe „nur mit acht Typen geschlafen", doch sie schäme sich dafür. „Ich will Spaß haben, ich will frei sein", sagt sie, „aber das ist schwierig." Émilie will genau wie ich lieber nicht zählen. „Du kannst 20 hinschreiben, wenn du willst", lacht sie. Sie sagt, sie habe Angst, in ihrem Freundeskreis verurteilt zu werden, doch ich werde den Eindruck nicht los, dass an der Sache noch mehr dran ist. „Ernsthaft, wenn ich zählen würde, wären es einfach zu viele", sagt sie. „Es macht mir Angst. Es klingt vielleicht blöd, aber ich habe mir immer vorgestellt, dass ich nach meinem Studium den Rest meines Lebens mit genau einem Mann verbringen würde. Und wenn ich mir denke, dass ich vielleicht schon mit 40 Typen Sex hatte, dann macht mich das traurig, auch wenn ich die meisten dieser Erlebnisse gut fand."

Was traurig ist, ist die Tatsache, dass sie sich selbst so verurteilen muss—dass sie jede sexuelle Erfahrung als eine weitere Schramme an ihrer Unschuld sieht, einen weiteren Schritt weg von den utopischen Märchenprinzfantasien, mit denen sie als Kind gefüttert wurde.

Louise hingegen hat nicht im Geringsten ein Problem damit, mir zu sagen, mit wie vielen Leuten sie geschlafen hat. „Um die 20", sagt sie beiläufig. Sie ist 27, hat gerade eine Langzeitbeziehung hinter sich und wir sind uns beide einig, dass sie sich nun ihrer „YOLO-Phase" befindet. Doch sie hat festgestellt, dass nicht alle ihr neues sexuelles Erwachen begrüßen: „Ich habe festgestellt, dass meine Freunde es nicht ertragen zu hören, dass eine Frau darüber redet, wie glücklich sie ist und wie viel Spaß sie daran hat, mit lauter verschiedenen Typen auszugehen. Ich habe meinen Freunden früher alles erzählt, und jetzt fragen sie ständig: ‚Und wann suchst du dir einen Freund?' oder ‚Solltest du nicht besser auf deinen Ruf aufpassen?'"

Ich schätze, das ist das Problem mit Sex. Er lässt sich nie aus seinem Kontext lösen und sobald man jemanden von seinem Sexleben erzählt, denken sie nur noch an ihr eigenes—ihre eigenen Unsicherheiten und Zweifel.

Gibt es einen Ort, an dem Frauen übers Ficken reden können, ohne verurteilt zu werden? Vielleicht in einer gynäkologischen Praxis? Ich erwähnte diese Überlegung Émilie gegenüber. Sie lachte. „Als ich 17 war, fragte mich meine Gynäkologin, wie viele Partner ich gehabt hätte. Ich sagte ‚Vier'. Sie sagte: ‚Wie kannst du erwarten, dass dich Andere respektieren, wenn du dich nicht einmal selbst respektierst?'"

Meine Gynäkologin ist das genaue Gegenteil. Sie ist nach einer Blume benannt und hat ein freundliches, mütterliches Gesicht. Ich vertraue ihr. Aber ich habe trotzdem über die Zahl meiner Partner gelogen, als ich mir damals die Pille verschreiben ließ. „Es ist schade", sagte sie, als ich ihr dies gestand. „Leute, die schon früh sexuell aktiv sind oder die zahlreiche Partner haben, sind gefährdeter für eine HPV-Infektion, worüber wir sie informieren könnten, wenn wir es wüssten", erklärte sie und wirkte dabei traurig. „Unsere Patientinnen sollten uns alles sagen können, ohne zu befürchten, dass wir sie verurteilen."

Fast bekam ich ein schlechtes Gewissen, weil ich sie angelogen hatte. Ich sagte ihr, es sei kompliziert und ich hätte mich schon immer hin- und hergerissen gefühlt zwischen meinem Freiheitsdrang und den gesellschaftlichen Vorstellungen dessen, was sich gehört—man muss bestimmt und selbstbewusst sein, aber bloß nicht zu sehr. „Tja," sagte sie. „Ich urteile nicht gern ..." (Ich wappnete mich schon für den nächsten Satz, denn wenn jemand das sagt, dann urteilt die Person meiner Erfahrung nach gleich über jemanden). „Ich urteile nicht gern, aber ich habe schon viele junge Frauen wie dich gesehen. Mit 27, 28 wollen sie frei sein und feiern, aber dann kommen sie mit 35, um sich künstlich befruchten zu lassen, und weinen darüber, dass sie nicht schon früher aufgewacht sind und sich um ein ernsthaftes Leben bemüht haben. Das Leben geht schnell vorbei." Ich zog mich wieder an, holte mir meine Versichertenkarte und verließ die Praxis sofort.

Doch das beantwortet immer noch nicht die grundlegende Frage: Warum lügen wir bezüglich der Anzahl unserer Sexpartner? Ich beschloss, auch ein paar Männer zu fragen.

Antoine ist 29 und arbeitet als Creative Director. Ich lernte ihn bei einer Party mit einem Glas warmem Rosé in der Hand kennen. Als er erfuhr, dass ich diesen Artikel schrieb, meldete er sich bei mir. „Ich sage dir, was ich denke", verkündete er. Er möge es, wenn Frauen „zuerst nicht leicht rumzukriegen sind. Ich mag es zu wissen, dass das Mädchen mir etwas Besonderes gibt, wenn sie dem Sex mit mir einwilligt—das verleiht mir mehr Wert. Wenn sie schon mit der ganzen Stadt geschlafen hat, fühle ich mich dumm. Mit ihr zu schlafen, gibt mir kein gutes Gefühl, wenn sie ihre Beine für jeden breitmacht. Ich bin nicht stolz drauf, aber so ist das."

Leider gibt es viele Antoines. Valentine hatte durch gemeinsame Freunde auch so einen kennengelernt. Sie war in ihn verschossen, doch als sie eines Nachts zusammen etwas tranken, erzählte sie von ihrem Sexleben. Er verlor sofort das Interesse an ihr und sagte ihrem Kumpel, er wisse nicht, „ob sie ein Mädchen ist, das es ernst meint, oder das nur auf Partys Schwänze lutschen will." Als ginge das außerdem nicht beides gleichzeitig.

Natürlich sind nicht alle Männer so. Und die meisten von ihnen müssen mit ihren eigenen Selbstzweifeln klarkommen, während die Gesellschaft auch ihnen Verhaltensweisen vorgibt. Mathilda ist gerade mit ihrem Freund zusammengezogen. Sie lieben einander, doch das Thema, mit wie vielen Leuten sie schon Sex hatten, kommt immer wieder auf. „Selbst Typen, die dir anfangs sagen, sie würden sexuell befreite Frauen mögen, machen dir am Ende Vorwürfe", seufzt sie.

Sie weigert sich, ihrem Freund eine Zahl zu nennen. „Er ist überzeugt, dass meine Vagina beschädigt ist, weil ich mit zu vielen Typen Sex hatte. Er hat diese dumme Überzeugung, die er nicht loswird, dass die Vagina einer Frau mit jedem Mann, mit dem sie Sex hat, größer wird", sagt sie. „Mein Freund ist kein Arschloch. Er hasst es, dass er so denkt, aber irgendwie ist es stärker als er."

Bei Anderen kommt die Angst daher, dass sie sich Gedanken machen, ob sie eine sexuell erfahrene Frau befriedigen können. Benoît, ein Barkeeper, gibt zu, dass er sich selbst ganz schön viel Druck macht. „Beim ersten Mal bin ich immer gestresst", sagt er. „‚Was, wenn ich keinen hochkriege? Was, wenn ich ihr kein Vergnügen bereiten kann? Was, wenn ich eigentlich schlecht im Vögeln bin?' Das sind Fragen, die mir immer durch den Kopf gehen. Es ist noch schlimmer, wenn es so wirkt, als hätte das Mädchen grundsätzlich viel Spaß an Sex. Es ist sehr aufregend und gleichzeitig macht es einem auch große Angst."

Seine Lösung? „Ich wurde zu einem Experten darin, Frauen oral zu befriedigen. Ehrlich, ich bin wirklich gewissenhaft", sagt er. „Ich bleibe so lange dort, wie ich gebraucht werde. Ich frage Mädchen, was ihnen gefällt, ich bestehe darauf, dass sie mich führen. Sobald ich mir sicher bin, dass sie auch wirklich Spaß haben, ist der Druck weg. Wenn sie erst anfängt, sich zu winden und zu stöhnen, dann sind mir die anderen Männer egal. Sie hat es vielleicht am Tag zuvor mit einem echt heißen Kerl getan, aber in dem Moment fühle ich mich wie der König der Welt."

Dieser Typ hat's verstanden.


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Mittwoch, 19. Oktober 2016

"Es ist irgendwie total unnatürlich, so viele Informationen so schnell herauszufinden. Muss man echt ganze 72 Wochen in seiner Timeline zurückgehen, um zu sehen, dass er mal den Toaster-Filter benutzt hat? Und ist das auch schon Grund genug, ihn zu ghosten? Würde das im echten Leben passieren, würdet ihr genauso reagieren? Wahrscheinlich nicht. Und genau da liegt das Problem. Die Welt des Online-Datings ist schnelllebig, launisch und extrem oberflächlich. Die Aufregung und Eile, mit der wir Leute kennen lernen, spiegeln das Tempo wieder, in dem wir dann auch wieder weiter ziehen. Und in dem Wirrwarr aus Pheromonen und Dick-Pics vergessen wir schnell die Nettigkeiten und grundlegenden Benimmregeln, die eigentlich dazugehören, wenn man jemanden offline trifft. Es fühlt sich oft wie eine seltsame, extrem sexualisierte Version von Die Sims an, in der man kurz in die Vorstellung einer Person verliebt ist und dann schnell eine neue Person erschafft, um dann einen Augenblick lang von ihr besessen zu sein."